Die Macht der Erststimme

Noch drei Tage bis zur Bundestagswahl und der Ausgang erscheint neuesten Umfragen zu Folge ungewisser denn je. Vor einigen Tagen hatte ich bereits über wahltaktische Überlegungen gebloggt, wobei es sich dabei in erster Linie um Eure Zweitstimme handelte. Politikwissenschaftler vermuten für den Ausgang der Wahlen und die damit zusammenhängende mögliche Koalitionsbildung einen nie dagewesenen Einfluss der Erststimmen. Konkret geht es um die Überhangmandate, die im Zuge der abnehmenden Unterstützung der Volksparteien vom Bundesverfassungsgericht in ihrer derzeit praktizierten Form als verfassungswidrig eingestuft wurden. Die bisherige Regelung wird allerdings in diesem Jahr noch Bestand haben.

Schauen wir zurück auf die Wahl des Deutschen Bundestags vor vier Jahren: das Parlament setzt sich derzeit aus 614 Abgeordneten zusammen, davon konnten 299 die Erststimme im Wahlkreis für sich entscheiden, weitere 299 Sitze entfallen auf die Zweitstimmen. Erzielt eine Partei nun in einem Bundesland mehr Sitze durch Direktkandidaten als sie ihren Zweitstimmen im Land entsprechend erhalten würde, entstehen Überhangmandate, deren 16 (SPD 9, CDU 7) im Jahr 2005. Diese betreffen in der Regel nur die Volksparteien, so holte die FDP 2005 gar kein Direktmandat, Die Linke drei und die Grünen eins - allesamt in Ost-Berlin. Allzu viel wird sich daran wohl nicht ändern, so dass Deutschlands Union und SPD diese Sitze unter sich ausmachen werden.

Nun ist in diesem Jahr davon auszugehen, dass der oben beschriebene Fall des Überhangmandats besonders häufig eintreten wird. Dazu muss man sich das Wahlrecht rund um die Erststimme in Erinnerung rufen, heißt, nur derjenige, der am Ende der Auszählung seinen Wahlkreis gewinnt, profitiert von den Erststimmen, alle anderen sind de facto für die Sitzverteilung völlig wertlos. Theoretisch ist also ein Szenario denkbar, bei dem ein Spitzenkandidat in seinem Wahlkreis nur eine Stimme mehr erzielt als der Zweitplatzierte, dennoch würde allein der Sieger direkt in den Bundestag einziehen.

Ein Beispiel: Wähle ich mit meiner Zweitstimme Grün, so ist es - entsprechende Zuneigung vorausgesetzt - sinnvoll, die Erststimme der SPD zu geben. Genauso verhält es sich natürlich bei Union und FDP. So hat bereits der FDP-Direktkandidat Lindtner angekündigt mit seiner Erststimme nicht sich selbst, sondern seinen Kontrahenten Bosbach von der CDU zu unterstützen. Ähnlich werben die bayerischen Grünen darum, in München und Nürnberg mit der Erststimme die SPD zu wählen.

Nun kann ja die Überlegung auftauchen, dass man auf Bundesebene beispielsweise eher mit der SPD sympatisiert, der Direktkandidat der Union einem aber zusagt. Für die Zusammensetzung des Bundestags könnte folgendes Szenario konstruiert werden: Der Direktkandidat wird tatsächlich in den Bundestag gewählt, aufgrund mangelnden Zuspruchs für die Partei im Land werden durch die Zweitstimme aber weniger Sitze erzielt als die Summe der Direktmandate. Der Union würden aufgrunddessen zusätzliche Sitze im Bundestag zustehen, sie würde also von der Landesliste weitere Abgeordnete als Überhangmandate ins Parlament entsenden. Resultat des Ganzen wäre es also, dass der gute Kandidat aus dem Wahlkreis nebst eines weiteren einen Sitz im Bundestag erhielte und das obwohl man im Bund mit dieser Wahl ja eigentlich eine ganz andere Partei bevorzugen wollte. Und darum geht es ja im Grunde - den Deutschen Bundestag zu wählen.

Darum am 27. September:
Kein Stimmensplitting unter den Volksparteien - und keine Erststimmen für die kleinen Parteien!

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