Die Lehren des Debakels

Es war gestern Abend ein gewisses Gefühl der Sprachlosigkeit, mit einer derartigen Klatsche hätte ich nicht gerechnet. 23% bedeuten, dass gut jeder Dritte Wähler in der vergangenen Legislaturperiode verloren gegangen ist. Das ist historisch, das ist einmalig, das ist schlicht unglaublich. Jetzt muss man handeln, hat vier Jahre Zeit um das Vertrauen zurückzugewinnen. Das Schlimme daran ist, dass die Sozialdemokraten aus meiner Sicht kein inhaltliches Problem haben - man muss an anderer Stelle ansetzen.

Wie geht es weiter mit Steinmeier und Müntefering?
Ich bin der Überzeugung, dass die SPD Frank-Walter Steinmeier auch weiterhin braucht. Schon allein, weil das Vakuum dahinter zu groß ist. Höchstens Klaus Wowereit hätte das Format die Partei in Zukunft zu führen, der widerum ist aber gerade selbst in Berlin angeschlagen. Andere Namen wie Andrea Nahles, Olaf Scholz oder Sigmar Gabriel möchte ich gar nicht diskutieren. Ich halte Steinmeier für den richtigen Mann um innerhalb der Partei zu vermitteln und endlich wieder Konstanz in der Parteispitze zu schaffen. Dafür benötigt er neben dem Fraktionsvorsitz auch den Parteivorsitz, das heißt, Müntefering muss gehen. Viele suchen in ihm den Schuldigen an der Misere, weiter an Müntefering festzuhalten wäre wohl das falsche Signal. Man muss sich auch in irgendeiner Form personell erneuern.

Was lief im Wahlkampf schief?
Wie bereits angemerkt lief inhaltlich wohl nicht allzu viel schief, auch der scheidende Außenminister steigerte sich im Laufe der Wochen sehr. Ich habe Steinmeier zweimal live erlebt in den vergangenen Monaten und zwischen der Veranstaltung vor der Europawahl und seinem Auftritt am Freitag auf dem Pariser Platz lag ein gewaltiger Unterschied. Steinmeier hatte in diesen Monaten wohl Blut geleckt, war bereit, ein großer Regierungschef zu werden. Es fehlte ihm allein die Perspektive zu regieren, spätestens mit der Absage von Guido Westerwelle. Was ihm fehlte, das war die Präsenz im Volk, der kleine Wendepunkt - der im Nachhinein doch keiner war - beim Duell machte vielen wohl seine Qualitäten erst bewusst. Nur da war die Wahl schon verloren.

Wie kann die SPD wieder eine Regierungsperspektive erhalten?
Die SPD muss sich den veränderten Umständen anpassen, das heißt, das unser Viel-Parteien-System inzwischen um eine neue Kraft erweitert wurde, nämlich die Linke. Die Wähler wandern in Scharen in Richtung dieser Partei ab, zu einer Partei, die nur für die Opposition kandidiert. Um aus diesem Dilemma herauszukommen, muss man die Konkurrenz durch die Linkspartei annehmen, muss selbst wieder zunehmend in diese Richtung steuern, aber ohne die Mitte zu vergessen. Die SPD hat richtigerweise konsequent ein Bündnis mit der Linkspartei vor der Wahl ausgeschlossen, doch jetzt sind vier Jahre Zeit um sich aufeinander zuzubewegen. Anders wird langfristig keine Partei links der Mitte eine Regierungsperspektive haben - und unser Land braucht eine starke Sozialdemokratie um das Feld nicht auf Dauer den Christdemokraten zu überlassen.

Welche Wähler gilt es zurückzugewinnen?
Neben denjenigen, die zur Linkspartei übergewandert sind, sind diese vor allem im Lager der Nichtwähler zu suchen. Die SPD konnte nicht ausreichend mobilisieren, sodass ihr die niedrigste Wahlbeteiligung der Geschichte der Bundesrepublik besonders zum Verhängnis wurde. Enorme Verluste resultieren zudem aus dem Lager der Jungwähler, etwa 20% verlor man hier im Vergleich zur Wahl vor 4 Jahren. Ein alarmierender Wert, zumal Verluste hier wohl hauptsächlich in Richtung der Grünen und der erstmals angetretenen Piratenpartei verzeichnen konnte. Nein, ich will meine Meinung zu dieser Partei an dieser Stelle nicht wiederholen, das tat ich bereits an anderer Stelle. Es muss aber alarmieren, wenn 13% der Männer zwischen 18 und 25 Jahren diese Partei wählen. Ich behaupte, das sind zu einem großen Teil potenzielle Wähler der Sozialdemokratie.

Wie konnte es zu diesem Debakel kommen?
Als die SPD 2005 in die große Koalition gehen musste, bahnte sich eine derartige Situation bereits an. Beide konnten nur verlieren und der Amtsbonus war auf Seiten der Union. Es ist die Krux an unserem System, dass derjenige, der regiert, immer verlieren wird. Der präsidiale Führungsstil von Frau Merkel tat sein Übriges dazu, setzte die große Koalition schließlich im Kern nur die erfolgreiche Regierungsarbeit von Rot-Grün fort, war aber deutlich reformfreier. Hinzu kommt der vielfache Wechsel im Amt des Parteivorsitzenden, auf Schröder folgten Münterfering, Platzeck, Beck und wieder Müntefering. Die Partei braucht wieder mehr Konstanz und eine Vision für unser Land.

Was ich sonst noch sagen wollte...
Mit dieser Wahl hat aus meiner Sicht vor allem Deutschland verloren, die SPD hat jetzt die Chance sich vier Jahre lang neu zu ordnen um dann wieder eine starke Sozialdemokratie für dieses Land zu sein. Ich hatte an anderer Stelle schon erwähnt, dass ich auch abseits von Parteizugehörigkeiten eine christlich-neoliberale Regierung in Zeiten der schwersten wirtschaftlichen Krise seit den Zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts für den falschen Weg für dieses Land halte. Ein erstes Stimmungsbild werden wir am 9. Mai 2010 bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen erleben.

Und weil es mir auf der Zunge liegt, noch Folgendes: Dieses Land hat nicht Schwarz-Gelb gewählt, es taten lediglich 48,4% der Wähler, von den 29,2% der wahlberechtigten Nichtwähler ganz zu schweigen. Nur um mal eine Anregung zu geben, dass unser Wahlsystem eine Reform verträgt. Nicht nur in puncto Überhangmandate - und wenn man schon dabei ist, könnte man auf die Veränderung der Parteienlandschaft ja auch gleich reagieren.

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